Ewige Wiederkunft des Gleichen: Der Deutschland-Pakt löst keins der deutschen Probleme
Von Gert Ewen Ungar
Wir schreiben das Jahr 2020. Das Coronavirus, die Maßnahmen zu seiner Eindämmung und die Debatten darüber haben Deutschland fest im Griff. In diesem Zusammenhang ist es der deutschen Politik aufgefallen, dass Deutschland, was die Digitalisierung angeht, irgendwo in den 80ern stecken geblieben ist. Die zügige bundesweite Zählung der den lokalen Gesundheitsämtern gemeldeten Coronafälle gestaltet sich schwierig, denn die Gesundheitsämter kommunizieren noch via Fax. Die restliche Welt lacht einmal kurz auf.
Es entsteht ein Bild von Deutschland, in dem in den Büros der Gesundheitsämter Beamte und Angestellte sitzen und mit einem Bleistift Striche in eine Papiertabelle machen, die anschließend an eine übergeordnete Behörde gefaxt wird. Deutschland versteht sich selbst übrigens als fortschrittliches Hochtechnologie-Land.
Auch in den Schulen und Bildungseinrichtungen fliegt nun auf, dass es an grundlegender technischer Ausrüstung fehlt, um effektiv Distanzunterricht machen zu können. Zudem tritt ein soziales Problem zutage. Internet ist in Deutschland teuer. Wer einen Schufa-Eintrag hat, bekommt keinen Festnetzanschluss und Mobilfunk nur Prepaid. Da wird der Heimunterricht für Eltern mit niedrigem Einkommen besonders kostspielig. Das Thema Digitalisierung der Schulen wurde zwei Wochen in den Medien hochgeschrieben und dann wieder fallen gelassen.
Diskutiert wurde kurz und hysterisch, wie das in Deutschland so üblich ist. Wer allerdings glaubt, es habe sich seitdem etwas getan, der wurde gestern im Deutschen Bundestag eines Besseren belehrt. Bundeskanzler Olaf Scholz stellte in einer Art aktualisierten Version der Ruck-Rede seinen Deutschland-Pakt vor. In dessen Mittelpunkt steht – jetzt kommt’s: die Digitalisierung der deutschen Verwaltung und Behörden. Digitalisierung ist der thematische Querschnitt, der alle vier Punkte des Deutschland-Pakts miteinander verbindet.
Mit anderen Worten, es ist in den vergangenen drei Jahren nichts passiert. Man kommuniziert mit einer deutschen Behörde immer noch am besten per Fax und kann selbst einfache administrative Akte nicht im Internet erledigen.
Dieses Mal klappt es aber ganz bestimmt, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen wird Deutschland auf Vordermann gebracht, der Laden entrümpelt und man kann dann bis spätestens Ende 2024 15 (in Worten: fünfzehn) Verwaltungsakte im Internet erledigen, versichert Scholz den Bundesbürgern.
Man möchte die Bundesregierung in diesem Zusammenhang vor allem eins fragen: "Sagt mal, habt ihr sie eigentlich noch alle?"
Vermutlich nicht, lautet die Antwort, denn Scholz glaubt, wenn diese wenig ehrgeizige Mini-Digitalisierung in den deutschen Verwaltungen dann schließlich angekommen ist, dann geht es mit Deutschland steil bergauf. Wenn das Abmelden einer Wohnung im Internet vorgenommen werden kann, wenn die Baugenehmigungen schneller erteilt und ein Start-up dank der Digitalisierung der Abläufe schneller gegründet werden kann, sind die zentralen Probleme Deutschlands gelöst. Das wird nicht der Fall sein. Denn das Digitalisierungsproblem Deutschlands deutet auf wesentlich tieferliegende Ursachen. Und einer Analyse dieser Ursachen verweigert sich Scholz.
Deutschland ist abgehängt. Und nein, daran ist nicht Putin und auch nicht der "brutale russische Angriffskrieg" schuld. Der Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen, völkerrechtswidrigen Sanktionen des Westens wirken wie ein Brandbeschleuniger auf das ohnehin schon lichterloh brennende deutsche Haus und seine Wirtschaft.
Nun ist es sicherlich wünschenswert, dass auch Deutschland und seine Behörden technologisch in der Gegenwart ankommen. Es vereinfacht vieles, macht das Leben bequemer, löst aber die grundlegenden Probleme Deutschlands nicht.
Der Glaube aber, es würde dann mehr investiert, wenn die administrativen Abläufe vereinfacht werden, ist ein Trugschluss. Vermutlich glaubt auch Scholz nicht daran. Mehr investiert wird dann, wenn sich die Investitionen auszahlen und das tun sie in Deutschland nicht, denn das wirtschaftliche Umfeld passt nicht mehr. Der Deutschland-Pakt löst keins der deutschen Probleme.
Scholz versucht die Situation schönzureden, verweist auf die Ansiedelung von Infineon und glaubt, Deutschland würde schon bald die Technologieführerschaft in der Halbleitertechnik übernehmen. Das wird nicht der Fall sein. Deutschland hat diese Entwicklung wie viele andere komplett verpennt. Jetzt ist es zu spät.
Nichts bringt die deutsche Verschnarchtheit übrigens besser zum Ausdruck als die Aussage von Scholz’ Vorgängerin im Amt, Angela Merkel, die 2013 meinte, das Internet sei "für uns alle Neuland". Im Anschluss wurde kurz über die Notwendigkeit der Digitalisierung diskutiert. Deutschland hinke hinterher, stellte man damals schon fest. Zehn Jahre später, schickt man in Deutschland immer noch Faxe.
Das Einzige, was in Deutschland gut funktioniert, ist das Selbstbewusstsein. Auch das macht Scholz deutlich. Man hält sich nach wie vor für eine große und wichtige Industrienation. Aber Energiepreise, hohe Zinsen, eine geringe Inlandsnachfrage, stagnierende Löhne, all diese Faktoren werden verhindern, dass Deutschland schnell wieder an die Weltspitze zurückkehrt. Deutschland-Pakt hin oder her. Der Pakt doktert ein wenig an den Symptomen herum und selbst das macht er nicht gründlich.
Deutschland müsste sich komplett neu erfinden. Von dieser Einsicht aber war die Rede von Scholz in der Generaldebatte weit entfernt. Er setzte die Digitalisierung ins Zentrum seiner Rede und nicht den Umbau der deutschen Wirtschaft hin zu einer Ökonomie, die ihr Wachstum aus einer starken Binnennachfrage schöpft.
Was aber die Digitalisierung angeht, kann man sich sicher sein, dass es in ein paar Jahren wieder jemandem auffallen wird, dass man in Deutschland noch per Fax kommuniziert. Man wird sich dann ein paar Wochen mit dem Thema beschäftigen und feststellen, seit dem Deutschland-Pakt von Olaf Scholz hat sich eigentlich nichts grundlegend geändert. Man wird es wegwischen und sich weiterhin zur Weltspitze zählen. Das deutsche Selbstbewusstsein lässt sich durch technologische Rückständigkeit nicht erschüttern, wie das Dauerthema Digitalisierung deutlich macht. Problemen geht man in Deutschland lieber aus dem Weg, wie der deutsche Bundeskanzler gestern erneut gezeigt hat.
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