Meinung

Kalenderblatt: Vor 80 Jahren wurde Odessa befreit

Am 10. April 1944 befreiten sowjetische Armeen Odessa von hitlerdeutschen und rumänischen Besatzern. Der 70. Jahrestag im Jahr 2014 stand bereits im Zeichen der ersten neofaschistischen Machtergreifung in Europa seit vielen Jahrzehnten. Den 80. Jahrestag müssen Antifaschisten im Exil oder im Untergrund feiern.
Kalenderblatt: Vor 80 Jahren wurde Odessa befreitQuelle: Sputnik © RIA Nowosti, Archiv

Von Anton Gentzen

Heute vor genau 80 Jahren, am 10. April 1944, haben die Truppen der 3. Ukrainischen Front der Roten Armee unter dem Kommando von Armeegeneral Rodion Malinowski die Stadt Odessa von der deutsch-rumänischen Besatzung befreit.

Besetzt hatten die deutschen und rumänischen Truppen die Perle am Schwarzen Meer am 16. Oktober 1941. Schon eine Woche später kam es zum ersten großen Kriegsverbrechen in der besetzten Stadt. Nachdem sowjetische Partisanen am 22. Oktober das rumänische Militärhauptquartier gesprengt hatten, ließen die Besatzer "zur Vergeltung" am Tag darauf 5.000 Menschen hinrichten und Hunderte von Juden verhaften. Am 24. Oktober 1941 wurden weitere 5.000 Juden in vier Holzhäusern am Stadtrand eingesperrt und sind dort lebendigen Leibes verbrannt worden.

Nach Angaben des Forschungszentrums Yad Vashem wurden von den 200.000 (Stand 1939) in Odessa lebenden Juden etwa 70.000 während der Nazi-Besatzung vernichtet. Dass es nicht mehr waren, ist auch nur der Evakuierung von Zivilisten in den ersten Wochen nach dem Überfall der von Hitler angeführten gesamteuropäischen Koalition auf die Sowjetunion zu verdanken. Die Stadt vollständig zu evakuieren, blieb den sowjetischen Verteidigern von Odessa keine Zeit.

Vom 5. August bis zum 16. Oktober 1941, 73 Tage lang, kämpfte der Verteidigungsbezirk von Odessa gegen den Angriff zahlenmäßig überlegener feindlicher Kräfte. Seit dem 13. August war die Hafenstadt vom Festland aus vollständig blockiert. Trotz der Blockade und der zahlenmäßigen Überlegenheit gelang es dem Feind nicht, den Widerstand der Verteidiger zu brechen – die sowjetischen Truppen wurden schließlich auf die Krim evakuiert.

Gegründet wurde Odessa im Jahr 1794, nachdem Russland unter der deutschstämmigen Kaiserin Katharina der Großen dem Osmanischem Imperium die nördliche Schwarzmeerküste abgerungen hatte. Der Name geht – und das ignorieren deutsche Politiker, die ihn in letzter Zeit auf ersten Zuruf hin in Kiewer Art verhunzen – auf eine griechische Kolonie zurück, die Odessos (altgriechisch Οδησσός) hieß. Mit einem Doppel-S also. Den ukrainischen Gesetzgebern ist wie immer auch hier ausschließlich wichtig, dass es "nicht wie bei den Moskals" ist. 

Die deutschen Linken sind auch deshalb politisch tot und werden von mir kein Wort mehr über sich zu hören bekommen, das nicht ein Schimpfwort ist, weil sie im Berliner Bezirk Lichtenberg bis 2023 einen Bürgermeister stellte, der auch in dieser Hinsicht mit ukrainischen Nationalisten paktierte und deren groben Unfug mitmachte. 

Odessa wuchs unter russischer Schirmherrschaft dank seines Schwarzmeerhafens schnell zu einer der größten und bedeutendsten Städte Russlands. Anfang des 20. Jahrhunderts belegte sie mit etwa einer halben Million Einwohnern noch vor Kiew den vierten Platz. Größer waren nur die Hauptstadt Sankt Petersburg, Moskau und Warschau. Die Perle am Schwarzen Meer war immer und noch bis zum Sieg des Euromaidan 2014 eine weltoffene, kosmopolitische Metropole, in der viele Völker zusammenlebten und sich gegenseitig kulturell bereicherten. Neben Warschau und Vilnius war Odessa das bedeutendste Zentrum des osteuropäischen Judentums, aber eben nicht nur das.

Und auch in Odessa waren unter den Opfern der deutschen Faschisten und deren rumänischer Verbündeter in den Jahren 1941 bis 1944 nicht nur Juden. Was Juden angeht, so wurden 2001, bei der letzten (und einzigen) Volkszählung der unabhängigen Ukraine noch 12.400 Bürger jüdischer Abstammung in der Stadt gezählt. Ob es wohl aktuell wenigstens noch Tausend sind? 

Heute träumen Tausende Odessiten wieder von der Befreiung, wenn auch nicht alle, wie man eingestehen muss. Die meisten leben schlicht ihr Leben, Odessa hatte auch immer schon den Zug, dass man sich mehr um Privates als um Geopolitisches kümmert. Eine Stadt der Spießbürger, Markthändler und Privatiers, auch das war und ist Odessa. Und doch ist hier der Widerstand gegen den ukrainischen Nationalismus nach wie vor am Stärksten, es gibt wieder Partisanen und Untergrundkämpfer. Tausende mussten nach 2014 die Stadt verlassen, leben heute im Exil in Berlin, Moskau, Donezk und auf der Krim. Hunderte traten im Laufe der Zeit den Aufständischen im Donbass bei, viele sind im Kampf gefallen.

Video: Kundgebung auf dem Kulikowo Pole in Odessa am 10. April 2014

Das letzte Mal öffentlich feiern konnte das antifaschistische Odessa den Jahrestag seiner Befreiung im Zweiten Weltkrieg am 10. April 2014. Auf dem Lerchenfeld, dem Kulikowo Pole, vor dem Gewerkschaftshaus, das wenige Wochen später in Flammen aufgehen sollte.

Mehr zum Thema - Deutsche Gewerkschaften schweigen zu Nazi-Terror – Gedenken an Opfer im Gewerkschaftshaus in Odessa

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.