Ein Gespenst geht um in Europa – das "Stagflationsgespenst"
von Kaspar Sachse
In den letzten Jahren galt eine ausufernde Inflation, die zum Schreckgespenst einer Deflation transformieren könnte, im politischen und wirtschaftlichen Mainstream als völlig unrealistisch. Dabei befeuerte man gerade in Washington, Brüssel, Berlin und Frankfurt am Main durch die jeweils stets hausgemachten Krisen unserer Zeit die Entwicklungen massiv, die zu einer zweiten Finanzkrise wie 1923 bzw. einer Jahrhundertwirtschaftskrise wie 1929 – mit den bekannten fatalen Folgen – führen könnten. Doch noch im Mai 2021 – inmitten der Corona-Krise – schrieb Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, auf seinem Blog:
"In Deutschland geht erneut die Angst vor der Inflation um. Seit Jahrzehnten ist es der Lieblingssport einiger in Politik und Wirtschaft, Angst vor dem Gespenst der Geldentwertung zu machen, die Menschen enteignet und die Wirtschaft schädigt. Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse einen Kurswechsel vollziehen, fordern sie derzeit. Auch die Finanzpolitik dürfe nicht mehr so viel Unterstützung an Firmen und Menschen leisten - sie müsse stattdessen möglichst schnell wieder die schwarze Null erreichen. Wirtschaftspolitisch wäre dies jedoch der größte Fehler, den die Politik in dieser tiefen Krise begehen könnte. [...]
Eine höhere Inflation wäre für viele Unternehmen eher ein Segen als eine Sorge. Viele haben sich in der Pandemie stark verschuldet und müssen nun zusätzliche Einnahmen generieren, um Schulden abbauen und neue Investitionen tätigen zu können. Bei steigender Inflation könnten sie ihre Kredite leichter bedienen. [...]
Beruhigen sollte auch die Tatsache, dass die Finanzmärkte und Unternehmen über die kommenden fünf Jahre eine Inflationsrate im Euro-Raum von nur 1,7 Prozent erwarten. In anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich größer, dass die Inflation auch in den kommenden fünf Jahren eher zu schwach als zu stark sein dürfte - und sich die Menschen keine Sorgen über eine schleichende Enteignung ihrer Ersparnisse machen müssen."
Fatal danebenzuliegen ("Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?", Konrad Adenauer), hat wie auch in diesem Fall in Deutschland keinerlei Konsequenzen, wenn man nur den richtigen Posten innehat. Gnadenlos gecancelt werden dagegen die, die unangenehme Wahrheiten aussprechen; oder wann haben Sie zuletzt Ökonomen wie Dirk Müller, Floriam Homm, Markus Krall oder Max Otte bei Anne Will oder Markus Lanz erleben dürfen?
Dabei sind Finanz-, Klima- und Corona-Krise nicht aus heiterem Himmel gefallen, wie die letztgenannten Herren stets betonen. Vielmehr wurden deren Konsequenzen für die Bevölkerung durch politische Entscheidungen von "provinziellen Quotenpolitikern […], lobbyiert und beraten von Thinktank gestählten Wirtschaftsstrategen, Technokraten und Transhumanisten, die ihre Hausaufgaben gemacht haben" (Raymond Unger, "Vom Verlust der Freiheit", München 2021, S. 493), getroffen.
Der Russe ist schuld: "Wir werden alle ärmer"
Nun kommt auch noch der Krieg in der Ukraine dazu – für westliche Politiker, die stets nur "auf Sicht fahren" (Angela Merkel), wieder völlig überraschend. Wen interessieren da die komplexen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte und darüber hinaus? Das Feindbild "Putin" bzw. "der Russe" wird nun gern mitgenommen, um all die globalistischen Agenden, die im "besten Deutschland, das es jemals gegeben hat" (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 3. Oktober 2020) mit deutscher Gründlichkeit wie nirgendwo sonst auf die Spitze zu treiben, koste es, was es wolle. Neben "Frieren für die Freiheit" (Ex-Bundespräsident Joachim Gauck) ist nun laut Wirtschaftsminister Robert Habeck auch klar: "Wir werden alle ärmer" – nicht zuletzt aus "Solidarität" mit der Ukraine.
Während der deutsche Arbeitnehmer, Verbraucher und Sparer also einerseits darauf eingestellt wird, dass die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten ihm zeitnah auch noch den letzten Cent rauben wird und ein Brot bald zehn Euro kosten könnte, ist klar, wer daran schuld ist: "der Russe". Man kennt das Spiel mit vor noch zehn Jahren undenkbaren medialen Tabubrüchen, die aktuelle Propaganda der "Bilder von Butscha" erinnern in ihrer gesellschaftlichen Totalität stark an die "Bilder von Bergamo".
Worauf werden wir also diesmal eingeschworen? Auf ein komplettes Embargo russischen Erdgases und Erdöls? Für Freiheit, Solidarität und Frieden mit Ukraine? Auch, wenn in Deutschland dann die Lichter ausgehen? Vielleicht. Interessant und gruselig zugleich ist, wie problemlos die antirussischen Feindbilder "wiederbelebt" werden, die aus ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen – oder waren sie, vor allem in Westdeutschland, nie verschwunden?
Mediale Vorbereitung auf die Stagflation
Das Handelsblatt griff am Dienstag in einem ihrer Artikel mit Bezug auf eine Studie der DZ-Bank schon einmal das Wort vom "Stagflationsgespenst" auf. Gleichzeitig heißt es dort aber:
"So nachvollziehbar diese Sorge auch sein mag [...] wir gehen aktuell davon aus, dass der Preisdruck in der zweiten Hälfte des Jahres merklich zurückgeht, während das Wachstum im Euro-Raum spürbar anziehen und in den USA robust bleiben sollte."
Pessimistischer sieht das erstaunlicherweise Isabel Schnabel, Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie sagte am Wochenende:
"Der Krieg wird die wirtschaftliche Erholung deutlich bremsen. Und er wird die Inflation für einen längeren Zeitraum noch weiter über unser Ziel hinaus ansteigen lassen."
Auch auf der Homepage der Tagesschau konnte man am letzten Mittwoch das Wort "Stagflation" lesen, dort hieß es mit großer Deutlichkeit:
"Die Inflationsrate ist im März mit 7,3 Prozent auf den höchsten Stand seit rund 40 Jahren emporgeschnellt. Hintergrund des sprunghaften Anstiegs sind die starken Preiserhöhungen für Energieprodukte. Der Preisdruck dürfte erheblich bleiben. In Deutschland wollen in den kommenden drei Monaten angesichts höherer Kosten so viele Unternehmen wie noch nie ihre Preise anheben. Das entsprechende Barometer des ifo-Instituts kletterte im März auf den Höchstwert von 54,6 Punkten nach 47,6 im Februar.
Gemeinsam mit den trüben Aussichten für die konjunkturelle Entwicklung verfestigt sich die Aussicht auf eine Stagflation. Die 'Wirtschaftsweisen' haben wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr deutlich nach unten geschraubt."
Der Bayerische Rundfunk versuchte am Donnerstag dagegen zu beruhigen, denn so richtig könne man ja sowieso nichts gegen eine Stagflation unternehmen:
"Das Phänomen der Stagflation ist wirtschaftspolitisch schwer zu bekämpfen. Es gibt keine gängigen Rezepte dafür. In der Ökonomie wird meist eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik empfohlen. Also Maßnahmen, die die Unternehmen auf der Kostenseite entlasten, damit sie weiter produzieren. Die Nachfrageseite zu stärken, zum Beispiel durch Entlastungen der Bürger, hilft in diesem Fall wenig, aber immerhin werden so wenigstens wirtschaftliche und soziale Härten vermieden – vorausgesetzt die Entlastungen werden zielgenau eingesetzt."
Daher alles halb so schlimm?
"Im Gegensatz zur Ölkrise in den 70er Jahren spricht jedoch einiges dafür, dass die Gefahr einer schweren Rezession nicht ganz so hoch ist wie damals. Denn am Arbeitsmarkt herrscht eher ein Mangel an Bewerbern, ein starker Anstieg der Arbeitslosenzahlen ist also - wenigstens vorerst - nicht zu befürchten. Und die Unternehmen können, sobald die Lieferengpässe überwunden sind, sehr schnell wieder ihre Produktion hochfahren. Es besteht also die Hoffnung, dass die Krise diesmal nicht so dramatisch verlaufen wird wie in den 1970er-Jahren."
Keine Bewerber, keine Arbeitslosen – so einfach ist das also. Fakt ist: Der Bürger wird mit politisch-medialer Salamitaktik wieder einmal mental darauf vorbereitet, immer mehr Zugeständnisse zugunsten des Staates und seiner durch den Steuerzahler großzügig alimentierten Klientel zu machen. Dieser kommt eine Hyperinflation oder Stagflation gerade recht: Der Staat kann sich auf Kosten seiner Bürger massiv entschulden und große Konzerne mit gut bezahlten Lobbyisten die letzten Reste des deutschen Mittelstandes billig aufkaufen. In diesem Kontext betrachtet sind die antirussischen Sanktionen von Ende Februar, die wie keinem anderen Land als Russland vor allem Deutschland schaden, nur ein weiterer Meilenstein dieser offenbar gewollten Entwicklung. Oder wie sonst lässt sich erklären, dass auch mancher "Ökonom" überhaupt darüber nachdenkt, hierzulande die Lichter ausgehen zu lassen?
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.