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Orientierung kommt von Orient: 20. Jahrestag des Irakkriegs und dessen Folgen

In der Nacht vom 19. auf den 20. März begann die US-Luftwaffe Bagdad zu bombardieren. Die EU und die NATO waren tief gespalten. Die neuen NATO-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa waren für den Krieg, Paris und Berlin widersetzten sich. Moskau und Peking begannen damals nicht nur ihre wirtschaftliche, sondern auch diplomatische Zusammenarbeit.
Orientierung kommt von Orient: 20. Jahrestag des Irakkriegs und dessen FolgenQuelle: AFP © Richard Rodriguez / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP

Von Karin Kneissl

Zum 20. Jahrestag des Angriffs der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak 

Im Rückspiegel der Geschichte betrachtet erlangt das Zeitgeschehen klare Konturen, da sich das Gesamtbild in all seinen Auswirkungen zeigt. In zwanzig Jahren kann wenig oder einiges passieren. Zwischen dem März 2003 und diesen Märztagen im Jahr 2023 haben Entwicklungen eingesetzt, welche Katastrophen über Millionen Menschen im Nahen Osten brachten. Der Zerstörung des Iraks, die Auflösung der Armee durch den ersten "US-Konsul" Paul Bremer im Mai 2023 und die Flüchtlingsströme in Nachbarstaaten wie Syrien und Jordanien mit den nachfolgenden terroristischen Anschlägen, zählen zu diesen Kriegsfolgen.

Die neuen Mittel der Propaganda

Über die fadenscheinigen Kriegsgründe, wie ein inexistentes Arsenal von Massenvernichtungswaffen und Bagdads angebliche Rolle im islamistischen Terrorismus, wurde ein Jahr später ausführlich geschrieben. Ab dem Frühjahr 2004 lagen bereits Beweise vor, was alles erlogen worden war – ob seitens der Internationalen Atomenergiebehörde oder dank Recherchen wie der des US-Publizisten Seymour Hersh.

Selten zuvor waren Desinformationskampagnen und all das, was man seit der Regierungszeit von Donald Trump als "fake news" bezeichnet, derart akribisch zum Laufen gebracht worden. Diverse Thinktanks ließen ihre Experten ausschwärmen, welche für "Regime Change und Demokratie" im Irak warben. Wer dagegen argumentierte, war antiisraelisch, antiamerikanisch und so weiter.

Ich gehörte zu jenen, die in Debatten und Vorträgen, ob im TV oder an Universitäten, sich den Mund fusselig redeten, um gegen diesen Krieg anzutreten. Doch die Kriegsmaschinerie der USA und ihrer Verbündeten, ob des britischen Premiers Tony Blair oder des damaligen spanischen Premiers José Maria Aznar, hatte bereits lange zuvor zu laufen begonnen. Mit den Anschlägen vom 11. September wurde bereits eine Verknüpfung zu Bagdad hergestellt, wenngleich keine Verbindung zwischen der Regierung von Saddam Hussein und den Attentätern bestand. Zur Erinnerung: Unter den Terroristen, welche die Maschinen pilotierten, war kein einziger irakischer oder afghanischer Staatsbürger. Es handelte sich vorwiegend um saudische Staatsangehörige.

"The unfinished business" und die Bush-Familie

Doch bereits im Herbst des Jahres 2001 wurden in Washington die Kriegsszenarien für einen Einmarsch im Irak nebst Regimewechsel neuerlich durchgespielt. An der Johns Hopkins Universität hatte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz in seiner früheren Funktion als Dekan dies in Seminaren internationaler Politik ebenso unternommen. Die Arbeitshypothese von Wolfowitz lautete, dass der Irak infolge einer Liberalisierung seiner Erdölindustrie den Wiederaufbau nach einem Krieg gleichsam aus eigener Tasche finanzieren würde – also aus dem Erdölexport.

Die Gruppe rund um den Vizepräsidenten Dick Cheney, der neben Wolfowitz auch dessen Vorgesetzter Donald Rumsfeld angehörte, waren zweifellos die wesentlichen Einflüsterer des US-Präsidenten George W. Bush. Im Gegensatz zu seinem Vater, George H. Bush, der als langjähriger CIA-Direktor ein versierter Analytiker war, verfügte der relativ unerfahrene Präsident nicht über eine persönliche klare Linie. Aber in Sachen Irak hatte er dennoch eine Position, wenngleich diese weniger reflektiert als vielmehr ein alter Reflex war. Es ging darum, das sogenannte "unfinished business" des Irakkrieges von Anfang 1991 zu Ende zu bringen.

Die Kriegskoalition aus dem Jahr 1991 unter Führung der USA operierte auf Basis einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates. Es handelte sich nicht um Krieg im völkerrechtlichen Sinne, sondern war eine von der UNO-Satzung vorgesehene Maßnahme gegen einen Staat. Einzig der damalige jordanische König Hussein hatte sich hinter Saddam Hussein gestellt, alle anderen unterstützten den Krieg gegen Bagdad. Die US-Regierung hatte sich klar an die UNO Resolution gehalten, bei der es nur um die Wiederherstellung der territorialen Integrität Kuwaits, nicht aber einen Sturz der Bagdader Regierung ging.

Hierbei setzte man vielmehr auf die Kurden im Norden des Landes und ermunterte diese zum Aufstand gegen Bagdad. Die Rebellion wurde von der irakischen Armee niedergeschlagen, ebenso eine Erhebung im schiitisch dominierten Süden des Landes. Vielleicht hatten sich die Rebellen auch mehr konkrete Militärhilfe der USA erwartet. Fazit war, dass Langzeitherrscher Hussein trotz militärischer Niederlage fest im Sattel saß.

Aus US-Sicht war man gescheitert und innerhalb der Bush Familie war die Rede vom "unfinished business", also dem unerledigten Geschäft. Für George W. Bush ergab sich mit dem Einmarsch in den Irak die Möglichkeit, die vielleicht psychologisch betrachtet eine Rolle gespielt haben mag, aus dem Schatten des mächtigen Vaters hervorzutreten und einen Regimewechsel herbeizuführen.  Jedenfalls hatte ich in Gesprächen mit US-Vertretern stets den Eindruck, dass bereits mit dem 11. September eine Obsession zum Irak um sich gegriffen hatte, die in einem Angriff münden würde.

Der UNO-Sicherheitsrat in Aufruhr

Im Vorfeld zur Irak-Invasion prallten im Gremium des UNO-Sicherheitsrates die Positionen hart aufeinander. Während der US-Außenminister Colin Powell mit einer fragwürdigen PowerPoint-Präsentation für die Präsenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gleichsam warb, stellten sich die Außenminister von Deutschland und Frankreich teils unter Beifall im Rat gegen einen Angriff.

Zeitgleich begannen damals China und Russland, die beide vehement gegen einen Krieg waren, zumal sie auch Erdölinteressen im Irak verfolgten, sich bei Entscheidungen abzustimmen. Gewissermaßen begann die enge Kooperation zwischen Moskau und Peking in einer koordinierten multilateralen Vorgehensweise. Es war beiden Regierungen klar, dass mit einem Krieg die Büchse der Pandora geöffnet würde und der Kollaps der irakischen Institutionen zu einer regionalen Anarchie führen würde.

Genauso sollte es dann auch kommen. Es folgten die Jahre der wöchentlichen Anschläge, des Aufstiegs des Islamischen Staats im Jahr 2014 und die vielen innerirakischen Konflikte. Wer ein wenig die Verhältnisse im Land kannte, wusste um die Katastrophe, die sich mit dem Kriegsbeginn am 20. März 2003 anbahnte.

China und Russland unterwegs in eine neue Weltordnung

Wenn nun am 20. März der chinesische Staatspräsident Xi Jinping zu einem dreitägigen Staatsbesuch in Moskau eintrifft, dann geht es nicht nur um bilaterale Energiebeziehungen, die seit dem Jahr 2004 systematisch betrieben werden.  Wie bereits bei ihrer gemeinsamen Erklärung in Peking im Februar 2022 wollen Wladimir Putin und Xi Jinping ihre Außenpolitik abstimmen und gemeinsam voranbringen. Dass das Ukraine-Dossier hierbei auch zur Sprache kommt, ist zu erwarten, wird aber wohl von den medialen Erwartungen im Westen überschätzt.

Es mag reiner Zufall sein, dass genau dieses Datum ausgewählt wurde, nämlich der 20. Jahrestag der Irakinvasion. Aber dieser Zufall zeigt im Rückblick dieser zwei Jahrzehnte, warum und wie intensiv die russischen und chinesischen Strategien sich verwoben haben. Zudem hilft auch die gute persönliche Chemie zwischen den beiden Präsidenten.

Ein Wortspiel, das ich immer wieder gerne bediene und in diesem Zusammenhang vortrefflich passt, lautet: Orientierung kommt von Orient. Peking und Moskau wissen ihren Blick auf den Osten zu teilen. Zwanzig Jahre nach der US-Invasion im Irak und Millionen Toten und Vertriebenen wollen China und Russland damit auch ihre Sicht auf die Welt noch einmal systematisch vorantreiben. Der Irakkrieg zeitigte neben all dem Elend auch konkrete analytische Folgen.

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