Europa

Europa zunehmend unwillig, Waffen an Ukraine zu liefern

Bulgariens Präsident hat ein Veto gegen die Übergabe von Panzerfahrzeugen an die Ukraine eingelegt. Auch die Regierungen in Polen, der Slowakei und den Niederlanden sind nicht bereit, Kiew neue Waffen zu liefern. Analytiker verweisen auf die Erschöpfung der Arsenale in diesen Ländern.
Europa zunehmend unwillig, Waffen an Ukraine zu liefernQuelle: AFP © JOHN THYS

Von Alexei Latyschew und Wladimir Dujun

Rumen Radew, der Präsident von Bulgarien, hat ein Veto eingelegt gegen die unentgeltliche Übergabe einer großen Charge an Panzerfahrzeugen an die Ukraine und das Dokument ins Parlament zurückgewiesen. Radew bemerkte, dass diese Technik vom bulgarischen Grenzschutz und Rettungsdiensten benötigt werde.

"Die an die Ukraine bewilligten geländegängigen Transportfahrzeuge könnten zum Schutz der bulgarischen Grenze und für die Hilfe an der Bevölkerung bei Unfällen genutzt werden. Leben und Gesundheit der bulgarischen Staatsbürger sollten oberste Priorität haben", zitiert die Nachrichtenagentur TASS den Pressedienst des Präsidenten.

Zuvor hatte das bulgarische Parlament eine unentgeltliche Übergabe von etwa 100 Panzerfahrzeugen des bulgarischen Innenministeriums samt Ersatzteilen an Kiew gebilligt.

Vertreter der Parlamentsmehrheit, die diesen Beschluss veranlassten, vermuten, dass das Veto überwunden werden könne. Dies erklärte unter anderem der Parlamentsvorsitzende Rossen Scheljaskow. Auch der Ministerpräsident des Landes, Nikolai Denkow, teilt diese Ansicht.

Nach Schätzungen von Analytikern ist die Zuversicht der Abgeordneten nicht unbegründet. "Nach der Verfassung ist Bulgarien eine parlamentarische Republik. Der Präsident erfüllt vor allem protokollarische Funktionen. Ja, er verfügt über die Möglichkeit, ein Veto gegen einen Parlamentsbeschluss einzulegen, was er auch getan hat, doch das Veto kann leicht von einer Parlamentsmehrheit überwunden werden. Wenn die Regierung also das Veto überwinden will, und sie ist entschlossen, dies zu tun, wird der Beschluss in Kraft treten", erklärt Nikolai Topornin, Leiter des Zentrums für europäische Information und Dozent des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen, in einem Gespräch mit RT.

Wladimir Putjatin, Dozent des Lehrstuhls für die Historie der Süd- und Westslawen der geschichtlichen Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität, ist der Ansicht, dass Radews Entscheidung Teil des innerpolitischen Kampfes ist.

"Es ist nicht das erste Mal, als es zu Zerwürfnissen zwischen dem Präsidenten und der Regierung kommt. Diese Auseinandersetzungen entstehen deswegen, weil Rumen Radew und die Parlamentsmehrheit unterschiedliche politische Kräfte vertreten. Zuvor hatte es einen ähnlichen Fall im Oktober gegeben, als Radew die Erhöhung von Transittarifen für das russische Gas über das Territorium des Landes durch das Parlament kritisierte", erklärt der Analytiker.

Unterstützung ohne Waffen

Parallel zur Entscheidung Radews verkündeten mehrere weitere EU-Staaten am 4. Dezember, dass sie keinen Wunsch oder keine Möglichkeit hätten, Waffenlieferungen an die Ukraine fortzusetzen.

So sagte am Montag Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala, dass sein Land gezwungen sein werde, die Militärhilfe an die Ukraine wegen der Erschöpfung eigener Vorräte zu verkürzen. Dabei betonte er, dass Prag Kiew weiterhin unterstützen werde.

Am selben Tag sprach sich Geert Wilders, der Vorsitzende der Freiheitspartei, die in den Niederlanden die Parlamentswahlen gewonnen hatte, gegen Waffenlieferungen an das ukrainische Militär aus, obwohl er ebenfalls erklärte, die Ukraine im laufenden Konflikt zu unterstützen.

"Doch ich denke, dass die Niederlande ihnen keine Waffen zur Verteidigung liefern müssen, denn wir selbst haben sehr wenige Waffen", sagte Wilders und fügte hinzu, dass er für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine eintrete.

Schließlich sagte der seit Oktober amtierende slowakische Regierungschef Robert Fico in einem Gespräch mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denis Schmygal, dass die Slowakei keine Militärtechnik mehr an Kiew liefern werde.

"Ich bestätigte das Interesse der Slowakei, der Ukraine in humanitären und zivilen Bereichen zu helfen, und schloss Lieferungen von Waffen und Munition aus staatlichen Lagern und der Armee aus", zitiert RIA Nowosti Ficos Erklärung nach dem Gespräch.

Der Politiker merkte an, dass er nicht an eine militärische Lösung des Konflikts in der Ukraine glaube, der seiner Ansicht nach nur zu weiterem Blutvergießen führe.

Die Einstellung der militärischen Unterstützung Kiews war eines der Wahlversprechen Ficos und seiner Partei Smer. So behauptete er im September, dass sich die slowakischen Streitkräfte wegen der Unterstützung der Ukraine im Niedergang befänden, und versprach im Fall eines Wahlsiegs, die Waffenlieferungen an Kiew zu stoppen.

Auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kündigte im September die Einstellung von Waffenlieferungen an die Ukraine an. Der Politiker bemerkte, dass Warschau die eigenen Streitkräfte ausrüsten werde. Diese Äußerung wurde vor dem Hintergrund einer Abkühlung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern getätigt, nachdem Warschau die Einfuhr ukrainischer Landwirtschaftserzeugnisse verboten hatte.

Von seinem fehlenden Wunsch, das Kiewer Regime zu bewaffnen, sprach mehrmals auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.

"Pläne, Russland zu besiegen, waren utopisch"

Die Erklärungen von Regierenden aus mehreren EU-Ländern geschahen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Skepsis in Bezug auf die Ergebnisse der ukrainischen Gegenoffensive sowie der Schwierigkeiten, die in den USA während der Bewilligung von weiterer Hilfe an die Ukraine aufkamen, bemerken Experten.

"Auf mehreren Ebenen äußern westliche Politiker ihre Skepsis bezüglich der Versorgung der Ukraine mit Waffen in bisherigen Maßstäben, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Ukrainer sagten allen, dass die Gegenoffensive greifbare Ergebnisse bringen werde, und planten, bis zur Grenze der Krim vorzurücken. Doch es verging ein halbes Jahr, und die Ukraine hat keine Ergebnisse vorgewiesen und musste sich an einzelnen Frontabschnitten sogar zurückziehen", erklärt Nikolai Topornin.

Einigen Politikern im Westen sei bewusst geworden, dass die Pläne, Russland zu besiegen, utopisch waren, meint er.

"Selbst Stoltenberg begann, sich über die Frontlage vorsichtiger zu äußern. Und jene, die eine Politik der Bewaffnung Kiews schon zuvor kritisiert hatten, verstärkten ihre Stimmen nur", so der Politologe.

Dabei ist Topornin der Ansicht, dass die Welle von Weigerungen, Waffen an Kiew zu liefern, nicht mit einer Änderung des politischen Kurses dieser Länder, sondern mit einer Erschöpfung ihrer Vorräte zusammenhängt.

"Arsenale von Staaten, zumal von kleinen, sind begrenzt. Sie waren nicht auf die Führung von Kampfhandlungen derartigen Ausmaßes über eine so lange Zeitperiode angelegt. Diejenigen Reserven, die sie hatten, haben sie der Ukraine schon übergeben. Nun haben sie keine Technik in der von der Ukraine benötigten Menge übrig. Deswegen belegen solche Weigerungen nur, dass diese Länder ihr Potenzial erschöpft haben", vermutet der Analytiker.

Topornin fügt hinzu, dass eine Erschöpfung von Ressourcen bedeuten könnte, dass Länder wie Bulgarien, die Slowakei oder Polen auch in Zukunft die Ukraine nicht unterstützen können werden. Dabei betont er, dass diese Länder nicht die Hauptlast der Versorgung des ukrainischen Militärs mit Waffen tragen.

"Der Großteil der Waffenlieferungen kommt aus den USA in die Ukraine, gefolgt von Deutschland und Großbritannien. Länder wie die Slowakei verfügten zwar über gewisse Vorräte, doch im Vergleich zu den führenden NATO-Staaten waren sie begrenzt und konnten keinen entscheidenden Einfluss auf das militärische Potenzial der Ukraine haben", konstatiert der Analytiker.

Putjatin zufolge bereiten Kiew die zunehmenden Fälle von Verweigerung der militärischen Unterstützung für die Ukraine dennoch Sorge.

"Von einer stabilen Tendenz kann man zurzeit nicht sprechen. Doch früher wurden solche Schritte im Westen nicht unternommen. Und die Tatsache, dass sie jetzt unternommen werden, beunruhigt sicher sowohl Kiew als auch die EU und die NATO. Denn solche Entscheidungen können den Beginn eines Stimmungswandels in Osteuropa einleiten, das unter den Folgen der antirussischen Sanktionen und der Ukraine-Krise leidet", schlussfolgert Topornin.

Übersetzt aus dem Russischen.

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