Nahost

Ist Israel bereit, eine zweite Kriegsfront gegen die Hisbollah zu eröffnen?

Die Eröffnung einer zweiten Front könnte für Tel Aviv in eine Katastrophe münden. Aber warum diskutieren israelische Politiker dann überhaupt darüber? Zudem kann man davon ausgehen, dass Washington sicherlich nicht wünscht, dass sich der Krieg über Gaza hinaus in der Region ausbreitet.
Ist Israel bereit, eine zweite Kriegsfront gegen die Hisbollah zu eröffnen?© Fuerzas de Defensa de Israel vía AP

Von Abbas Juma

Die Spannungen an der israelisch-libanesischen Grenze scheinen ernsthaft zuzunehmen und haben das Potenzial, zu einem umfassenden Konflikt zu eskalieren. Während bisher jeder mit einem Angriff der Hisbollah rechnete und man annahm, Israel wolle die Eröffnung einer zweiten Front im Norden vermeiden, erklärte Israel nun seinerseits seine Bereitschaft, eine Offensive im Südlibanon zu lancieren.

Laut dem israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant werden die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) nicht zögern, militärische Maßnahmen gegen die Hisbollah zu ergreifen, wenn sich die libanesischen schiitischen Kämpfer nicht über den Fluss Litani zurückziehen. Die britische Times hatte zuvor berichtet, dass Israel einen Plan zur Invasion in den Südlibanon habe. Ziel sei es, die Hisbollah auf die andere Seite des Flusses zurückzudrängen, der etwa 20 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt liegt.

Einerseits hat die israelische Propaganda oft versucht, die Hisbollah als Bluffer darzustellen, der zwar fähig sei, zurückzuschlagen, aber nicht bereit für einen umfassenden Krieg. Eine kürzlich abgehaltene Ansprache des Generalsekretärs der Hisbollah, Hassan Nasrallah, wurde von einigen dahingehend interpretiert, dass die Organisation bezüglich Palästina ihre Hände in Unschuld waschen würde. Um diese These zu bestätigen, veröffentlichte der Vertreter Irans bei den Vereinten Nationen eine Erklärung, in der es hieß, dass die iranische Armee nicht in einen direkten bewaffneten Konflikt mit den israelischen Streitkräften eintreten werde, es sei denn, diese würden zuerst angreifen.

Andererseits kann man nicht sagen, dass die israelische Führung den Faktor Hisbollah nicht ernst nimmt. Die Israelis sind sich der Fähigkeiten dieses Feindes bewusst und haben fast alle ihre Siedlungen nahe der Grenze zum Libanon evakuiert. Unterdessen übt ihr wichtigster Verbündeter, die USA, weiterhin Druck auf Iran aus, um eine Eskalation des Konflikts zu verhindern. Der Druck auf Teheran geht auch von Peking aus, das für die Islamische Republik wirtschaftlich und politisch äußerst wichtig ist.

Schließlich zeigen die aktuellen Erklärungen aus Tel Aviv, dass Israel zwar zu einer Bodenoperation gegen die Hisbollah bereit ist, aber sie sind auch Zeichen eines extremen Maßes an Besorgnis, während der Kampf gegen die Hamas noch nicht abgeschlossen ist oder zu handfesten Ergebnissen geführt hat. Möglicherweise handelt es sich hierbei nur um eine Sondierung, um die Reaktionen zu testen und Druck auf Iran auszuüben. Wenn es aber einen solchen Plan gibt und Israel sich auf dessen Umsetzung vorbereitet, könnte die Situation ernsthaft außer Kontrolle geraten. Es ist schwer vorstellbar, wie die israelische Armee an zwei Fronten kämpfen kann, wenn sie nicht einmal mit der Hamas fertig wird, die viel kleiner und weniger gut bewaffnet ist als die Hisbollah.

Bei meinem jüngsten Treffen mit dem Sprecher der Hisbollah, Hajj Mohammad Afif, habe ich das Thema Krieg mit Israel angesprochen. Er sagte mir, dass die Hisbollah nicht einmal fünf Prozent ihrer Streitkräfte im Einsatz habe und für jedes Szenario gerüstet sei.

Kurioserweise gab es neben den Meldungen über die Pläne Israels, in den Libanon einzumarschieren, auch Meldungen über die Bereitschaft der USA, einen Krieg gegen die jemenitischen Huthis anzuzetteln, die in der Straße von Bab al-Mandab die internationale Schifffahrt von und zum Roten Meer lahmgelegt haben.

Am 18. Dezember warnte der ehemalige US-Geheimdienstoffizier Scott Ritter, dass Washington eine Kriegserklärung an den Jemen vorbereite. Am selben Tag veröffentlichte die Webseite des Pentagons mit einer Erklärung des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin den Beginn der "Operation Prosperity Guardian" (Operation Wächter des Wohlstands) unter der Schirmherrschaft internationaler vereinigter Marinekräfte, um die Sicherheit der maritimen Routen im Roten Meer zu gewährleisten, angesichts "rücksichtsloser Angriffe jemenitischer Huthis auf Handelsschiffe".

Zur selben Zeit flog Austin nach Israel und begann damit, Premierminister Benjamin Netanjahu unter Druck zu setzen, seine militärische Strategie in Gaza zu ändern. Andernfalls drohe Israel eine "strategische Niederlage". Dies ist nicht das erste Mal, dass Washington Israel signalisiert, dass es die Geschehnisse in Gaza satthat. Tatsächlich schadet die Bombardierung von Zivilisten ernsthaft dem Image Israels, der USA und der EU. Die kollektive ausbleibende Reaktion des Westens auf die Tausende von getöteten palästinensischen Kindern offenbart eine moralische Bankrotterklärung Europas und der USA, wirft ein grelles Licht auf die Doppelmoral des Westens und untergräbt alle Bemühungen, Russland in der Ukraine zu dämonisieren.

Man kann davon ausgehen, dass die USA die Operationen der IDF in Gaza nicht verzögern wollen. Aber Washington will sicherlich auch nicht, dass sich der Krieg über Gaza hinaus in der Region ausbreitet.

Aus dem Englischen.

Abbas Juma ist ein international tätiger Journalist und politischer Kommentator für den Nahen Osten und für Afrika.

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